Nicht nur lernen und lehren: Handgemacht für die Wissenschaft

2022-10-07 22:03:06 By : Ms. Carly Chen

In den FU-Werkstätten der Chemie und Physik entstehen seit Jahrzehnten maßgefertigte Apparaturen für Labore und Versuchsaufbauten. Ein Besuch.

Wenn das Glöckchen über der Werkstatttür bimmelt, weiß Frank Totzauer, dass es etwas zu tun gibt. „Ich hab’ da mal eine Idee“ – mit diesen Worten stünden dann Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, meist unangekündigt, in seinem Büro, oft mit einer Handskizze für ein Instrument oder eine Versuchsanordnung – oder einfach, um technische Hilfe und Rat zu erhalten. Oder es ist ein Entwurf für ein Bauteil, das den Alltag im Labor erleichtert, oder es ist eines, das dringend repariert oder modifiziert werden muss.

Frank Totzauer leitet die Werkstätten des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität Berlin. Hier, im Untergeschoss der Arnimallee 22 und weiteren Räumen wird gedreht, gefräst, geschweißt, montiert und repariert. Sein Team fertigt immer wieder neue innovative und individuelle Produkte für die Arbeitsgruppen des Fachbereichs. „Alles, was es nicht im Katalog oder sonst nur in großen Mengen zu kaufen gibt, bauen wir hier“, erklärt Frank Totzauer nicht ohne Stolz.

Ayhan Dede steht mit Schutzbrille an der Drehmaschine. Silberne Späne lösen sich schimmernd vom Werkstück, während er einen Reaktionsbehälter aus Edelstahl nach Zeichnung fertigt. Um ihn herum riesige Maschinen, die so schwer sind, dass die Werkstatt nur im Keller untergebracht werden konnte. An den Wänden hängen Kästen aus durchsichtigem Kunststoff, gefüllt mit unzähligen Schrauben, Muttern und anderen Kleinteilen. Ayhan Dede ist hier seit 40 Jahren beschäftigt, auch seine Ausbildung hat er an der Freien Universität gemacht.

An diese Zeit erinnert er sich oft. „Unsere Ausbilder waren Meister ihres Fachs, die richtig was konnten und ihr Wissen auch gerne weitergegeben haben“, schwärmt er. Das Komplizierteste, das er je bauen musste? Ayhan Dede überlegt nicht lange: „Eine Paul-Falle, die einen Tropfen mithilfe von Stromspannung in der Luft halten kann.“

Ausgebildet wird hier nicht mehr, doch Aufträge gibt es genug. Frank Totzauer freut sich über jeden einzelnen: „Unsere Aufgaben sind interessant und geistig herausfordernd, zudem lernen wir viele verschiedene Menschen kennen, es macht einfach Spaß, sich den verändernden Herausforderungen zu stellen, Arbeitsabläufe und Inhalte weiterzuentwickeln und für eine zeitgemäße technische Ausrüstung zu sorgen.“ Zudem sei es möglich, auch kreative Einzelteile anzufertigen, die es so sonst nirgends gibt.

Unikate fertigt auch die Glasbläserei in der Fabeckstraße 34/36 an, die als Zentralwerkstatt für die gesamte Freie Universität im Einsatz ist. Sie besteht seit der Gründung der Universität im Jahr 1948. Zuletzt habe er für einen Informatiker eine Glaskugel hergestellt, erzählt Glasbläsermeister Dirk Busold, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Geologie kämen schon mal vorbei.

Im Kaputtmachen von Glas sind die Labore uns in der Werkstatt weit überlegen.

Die meisten Aufträge bekäme er aber aus der Chemie: „Im Kaputtmachen von Glas sind die Labore uns in der Werkstatt einfach weit überlegen.“ Busold lacht. „Wenn ich die bestellten Anfertigungen auf den Tisch lege, würde ich die schönen Teile am liebsten behalten, weil ich ja schon weiß, dass sie irgendwann wieder zerbrechen werden.“ Entsprechend viel zu tun gebe es. „Grundsätzlich ist alles möglich, vor allem blasen wir Produkte, die es im Katalog so nicht gibt.“ Auch Quarz, der erst bei über 1000 Grad Celsius schmilzt und robuster ist als Glas, kann Dirk Busold bearbeiten.

In blauer Latzhose steht der Glasbläsermeister vor seinem karierten Auftragsheft, dessen Seiten dicht gefüllt sind mit handschriftlichen Notizen. Er blickt auf die Exponate, die in den großen Fensterfronten seiner Werkstatt in der Sonne schimmern. Für ihn gebe es keinen schöneren Beruf, sagt er. „Glas bearbeiten ist wie Spielen, und es ist für mich immer wieder ein Wunder, was mit Glas alles geht.“ Das Beste an seinem Beruf: „Komplizierte Apparaturen, die sind für mich der Inbegriff von Schönheit.“

Ein paar Häuser weiter in der Arnimallee 14 sind die Fachwerkstätten des Fachbereichs Physik untergebracht. Im kommenden Jahr feiern sie 75. Jubiläum. Von den dreizehn Mitarbeitenden sind acht in den Werkstätten beschäftigt, alle wurden hier ausgebildet – und sind geblieben. Sie fertigen vor allem Messapparaturen und Versuchsaufbauten für die Arbeitsgruppen der Experimentalphysik, sagt Detlef Müller, aber auch für die Informatik, Mathematik und andere Fächer. Oft sei es nötig, die Elemente neu zu konstruieren, um sie genau den Apparaturen anpassen zu können. Dabei seien die Eigenheiten der Versuchsaufbauten für die Luft- und Raumfahrttechnik sowie der Tieftemperatur-, Laser, Molekül-, Nano- und Oberflächenphysik zu berücksichtigen.

Die Werkstätten profitierten sehr von ihrem umfangreichen Lagerbestand, sagt Dirk Hund. Er wurde an der Freien Universität zum Feinwerktechniker ausgebildet, studierte Maschinenbau und arbeitet mittlerweile als Konstrukteur und in der Leitung der Feinwerktechnik. Zusammen mit Detlef Müller führt Dirk Hund durch das Lager. Es umfasst ein großes Spektrum von Materialien in unterschiedlichen Formen. Es beinhaltet viele Edelstähle, Bunt- und Leichtmetalle, Kunststoffe sowie verschiedene Sondermaterialien wie Tantal, Molybdän, Wolfram, Gold, Silber und Keramiken, die für die zu fertigenden Apparaturen benötigt werden. „Einiges davon ist auf dem Weltmarkt kaum zu kriegen“, sagt Dirk Hund. „Bei Materialengpässen kam uns das zuletzt sehr zugute, weil wir alle Bauteile trotzdem schnell abrufen konnten.“

Schnell ist überhaupt ein wichtiges Stichwort für die Feinwerktechnikerinnen und -techniker am Fachbereich Physik. Ihre Maschinen arbeiten schneller und effizienter als vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren. Bauteile, deren Fertigung früher mehrere Stunden in Anspruch genommen hätten, laufen jetzt in rund zehn Minuten durch CNC-Fräs- und Drehmaschinen programmgesteuert automatisch ab.

Doch Handarbeit steht weiter im Vordergrund, auch in der Tischlerei von Torsten Schmielau. Er ist der Letzte seiner Art an der Freien Universität, sein Werkstoff ist Holz. In seiner Tischlerei fertigt er Regale, Schränke und Tische nach Maß an, umgeben von Brettern, Leisten, Stämmen und Spänen. Momentan arbeitet er an einem Stehpult mit eingebautem Bildschirm. Er betont den Zusammenhalt untereinander: „Jeder und jede von uns hier ist in seinem Fachgebiet sehr gut, aber ohne Absprachen geht es nicht. Das zeichnet unsere Werkstätten aus: Wir kooperieren und erzielen so beste Ergebnisse.“

In der Schweißerei ist der Feinwerktechniker Alexander Gold zuständig. Auch er wurde noch an der Freien Universität ausgebildet, in einem der letzten Lehrjahrgänge. Mit seinen 40 Jahren ist er momentan der jüngste Beschäftigte in den Fachwerkstätten, ist aber zuversichtlich, dass sich das ändern könnte: „Ich glaube, dass das Handwerk in nächster Zeit wieder mehr in Mode kommen wird“, sagt Alexander Gold. „Stockende Lieferketten und Materialknappheit infolge des Kriegs in der Ukraine machen Reparaturen zunehmend wieder nötiger. Und nachhaltiger, als alles neu zu kaufen, ist es auch.“

Seit Jahrzehnten verbinden die Beschäftigten der Werkstätten der Freien Universität Berlin Fachwissen und echte Handarbeit. Sie stellen sich neuen Herausforderungen und tragen ihren Teil dazu bei, die Universität exzellent zu machen. Frank Totzauer und Detlef Müller, die beiden Werkstattleiter, hoffen, dass es noch viele Jahrzehnte so weitergeht.

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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