Rund ums Ovale - Hase, Hahn und Schnabeltier - Wiener Zeitung Online

2022-08-12 21:22:43 By : Mr. yuiyin zhang

Ein merkwürdiger Verbrecher wurde vor mehreren Jahrhunderten an einer mittelalterlichen Richtstätte vom Leben zum Tode befördert. Bevor er ausgehaucht hatte, krähte er noch ein Mal; er durfte sich dies erlauben, denn er war ein Hahn. Er ließ sich etwas zuschulden kommen, was anderen Geschöpfen durchaus nicht übelgenommen wird, er sollte nämlich ein Ei gelegt haben, und wenn dies ein Hahn thut, so "sitzt der Teufel darin".

Meister Lampe, hier bei Zeitungslektüre.

Fabelhafte Eier spielen auch beim April-Schicken sehr häufig eine Rolle. Man trägt Kindern, mit denen ein April-Scherz inscenirt werden soll, auf, beim Kaufmanne Elephanten-, Katzen- oder Eselseier zu holen. Diese Späße haben vor ungefähr vierzehn Jahren sehr viel von ihrem Reize eingebüßt - freilich nur bei Naturforschern, denn zu jener Zeit wurde thatsächlich beobachtet, wie ein Säugethier Eier legt.

Die modernen Zoologen rieben sich ob dieser Entdeckung vergnügt die Hände, denn die sonderbare Eigenschaft rührte von dem allerdings in mannigfacher Beziehung merkwürdigen Stachel-Igel (Echidna), dem nächsten Verwandten des Schnabelthieres (...) her. Da man in diesen Thieren schon früher den Ueber-gang von den Säugern zu den Vögeln sah, so bedeutete dieses Ergebniß gleichsam ein Osterei für die Morphologen unter den Naturhistorikern.

Nur ein einziger machte davon eine Ausnahme, ihm bereitete die neu zutage geförderte Thatsache sogar arge Gewissensbisse - es war nämlich derjenige Director eines Museums, welcher kurz vorher (...) aufräumte und dabei ein Kistchen mit der Aufschrift "Eier vom Schnabelthier" wegwarf. Doch wenden wir uns den bekannten Ostereiern zu!

Von Jupiter ausgebrütet

Dasjenige Geschöpf, dessen Hauptaufgabe das Legen solch erfreulicher Dinge bildet, ist bekanntlich der Osterhase. (...)

Ein farbenfrohes Festtags-Accessoire mit Historie.

Der Gebrauch der Ostereier ist uralt, denn schon die Römer hatten zur Zeit unserer Ostern ihr "Eierfest", das zu Ehren von Castor und Pollux abgehalten wurde. Diese verdankten nämlich ihr Dasein einem von der Leda gelegten und von Jupiter ausgebrüteten Ei. Nach der griechischen und orientalischen Kosmogonie stellt das Ei überhaupt die Welt dar.

Einer ägyptischen Sage zufolge ging das Weltenei aus dem Munde des Ptah hervor. Er spaltete es, um die darin vorgebildeten Dinge entstehen zu lassen. Das Ei bildet darum ein vortreffliches Symbol für die aus kleinen, unsichtbaren Anfängen heraus sich entwickelnde Gestaltung alles organischen Lebens, da dieses gerade um die Osterzeit neu erwacht.

Früher, als die Bewohner des heutigen Mittel-Europa noch durchwegs Heiden waren, feierte man zu derselben Zeit das Fest der Frühlingsgöttin, deren Thron man sich in jener Gegend dachte, aus der die Quelle des Lichtes strömt, nämlich im "Osten". Schon damals entstand die Bezeichnung "Osterfest". Ueberdies hieß auch die Göttin der Natur, welche sich um diese Zeit verjüngt, "Ostara".

Omelette für den Teufel

Das Kochen und Verspeisen der Ostereier, wie es heute üblich ist, dürfte ebenfalls ein Ueberbleibsel der heidnischen Opfer sein, welche unsere Urahnen der lichtvollen Beherrscherin der Natur darbrachten. Darum haftet auch so manches Stück Aberglaube an jener Sitte. So erzählt ein Ethnologe, daß noch vor einigen Jahren die alten Weiber in manchen Gegenden Rußlands (...) aus den Ostereiern eine Omelette für den Teufel bereiten. Sie muß mindestens aus einem halben Schock (1 Schock = 60 Stück, Anm.) Eier und sehr fett zubereitet sein, weil sie sonst der Satan verschmäht. Diese kräftige Speise wird in einer Osternacht vor das Haus gestellt, und der Höllenfürst kommt in Gestalt eines schwarzen zottigen Hundes, mit feuersprühenden Augen, das ihm geweihte Mahl zu verzehren. (...)

Auch in der Volkskunde spielen die Ostereier eine nicht unbedeutende Rolle, als Beweis dafür seien die Untersuchungen des bekannten Höhlenforschers (...) Wankel (Heinrich, 1821-1897, Anm.) angeführt, welcher eine deutliche Ueber-einstimmung der Verzierungen auf alten, in Mähren gefundenen Ostereiern mit Ornamenten nachwies, die sich auf den Thongeräthen der prähistorischen Kelten von Hallstatt befanden. (...)

Es ist ferner nicht uninteressant zu bemerken, daß hier die Färbekunst sich desselben Mittels bedient (...), wie dies die Malayen bei ihrem Kattundrucke thun. Hier wie dort wird durch aufgelegtes Wachs der betreffende Theil des Stoffes, respective des Ei’s, vor der Einwirkung des Pigments bewahrt. Es erinnert dieses Verfahren an die noch vor einigen Jahrzehnten auch bei uns im Zeugdrucke (= Textildruck, Anm.) verwendeten "Wachs-Reservagen".

Konkurrenz für Osterhasen: Schnabeltier. 

Durch neuere, ethnographische Untersuchungen ist festgestellt worden, daß der Ursprung des Gebrauches von Ostereiern in China zu suchen ist. Er bestand daselbst schon vor Jahrtausenden, sicher läßt er sich bereits um das Jahr 700 vor Christus dort nachweisen. Die Sitte wurde von da zunächst nach Persien eingeführt und nahm von hier ihren Weg nach Europa.

Bei den Osterspielen unserer Landbevölkerung bilden die Eier gar oft den Hauptanziehungspunkt, so z.B. bei demjenigen, welches unter dem Namen "Waleien" (= Eierrollen, Anm.) bekannt ist.

Eine besondere Art desselben ist in vielen Gegenden Ober-Baierns üblich. Ein Zuschauer beschreibt diese ländliche Unterhaltung folgendermaßen: Zum Spielplatze hatten sich die Knaben eine ebene Wiese (...) ausgesucht. Nun wurden zwei fingerdicke, am oberen Ende gespaltene Stäbchen in einer Entfernung von vier Centimetern (...) in die Erde gesteckt, so daß sie etwa 15 Centimeter hervorragten. In die Stäbchen wurden Weidenruthen von der Stärke eines kleinen Fingers geklemmt und mit dem anderen Ende schräg in die Erde gesteckt.

Auf dieser Bahn, deren Länge zwischen 40 und 50 Centimeter schwankte, ließen die Jungen die buntgefärbten Eier hinunterrollen und suchten die schon hinabgerollten, mit der Spitze nach der Bahn zugekehrten Eier zu treffen. Das getroffene Ei wurde aufgenommen und mit einem Pfennig ausgelöst.

Andere Knaben hatten zwei Rechen mit den beiderseitigen Zähnen nach auswärts neben einander in die Erde gedrückt, so daß die Rechenstiele parallel schräg zu Boden gingen. Auf dieser bedeutend höheren und längeren Bahn ließen sie dann die Eier hinunterrollen und nannten dieses Spiel "Eier speken" (speken bzw. specken = mit Kugeln spielen, Anm.).

In vielen Alpengegenden steckt man die am Palmsonntag geweihten "Kätzchen" in den Obstgarten. Kaum ist die Messe acht Tage später, am Ostersonntag, zu Ende, so stürmt die Jugend hinaus, um jene symbolischen Palmzweige zu erbeuten, denn wer einen solchen erwischt, hat das Recht, Ostereier zu fordern.

Ueberall jubelt Alt und Jung im Zeichen der bunten Sinnbilder der neu erwachten Natur einer glücklichen Zeit entgegen, und der Wunsch beseelt alle Herzen: "Es geb’ das Osterei so glatt und rund / Des heitern Frohsinns sich’res Zeichen kund!"

Dieser Artikel erschien am 9. April 1898 unter der Überschrift "Ostereier" in der "WZ"-Spätausgabe "Wiener Abendpost". Er wird hier leicht gekürzt in Original-Rechtschreibung wiedergegeben; die Zwischentitel wurden ergänzt. Autor Dr. Ludwig Karell (1858-1930) war Naturwissenschafter und Lehrer. Für unser Blatt schrieb er zahlreiche Feuilletons. Eines davon - eine Zukunftsvision von anno 1895 - wurde im August 2021 in den Zeitreisen abgedruckt. (reis)