Deutsches U-Boot-Wrack identifiziert: "An Bord muss die Hölle geherrscht haben"

2021-11-16 11:45:10 By : Mr. Alfred Chen

INTERVIEW Deutsches U-Boot-Wrack im Video  

Von Marc von Lüpke

In rund 40 Metern Tiefe haben Taucher vor der belgischen Küste ein deutsches U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg entdeckt. Bilder zeigen das Wrack von UB-32. (Quelle: t-online)

Spektakulärer Fund: Diese Bilder zeigen das Wrack des deutschen U-Bootes aus dem Ersten Weltkrieg, historische Bilder zeigen es in Aktion. (Quelle: t-online)

Es ist eine Sensation: Der Forscher Tomas Termote hat vor Belgien das Wrack eines deutschen U-Bootes aus dem Ersten Weltkrieg identifiziert. Das Schicksal des Teams war besonders grausam.

t-online: Herr Termote, Ihnen ist eine archäologische Sensation gelungen: Sie haben das Wrack des deutschen U-Bootes "UB-32" aus dem Ersten Weltkrieg identifiziert. was ist daran so besonders?

Tomas Termote: Das Ende von "UB-32" war extrem dramatisch. Es ist das einzige deutsche U-Boot im Ersten Weltkrieg, das von einem feindlichen Flugzeug versenkt wurde. Damals gab es nur einen ähnlichen Fall: 1915 versenkte ein österreichisch-ungarisches Flugzeug die französische "Foucault" in der Adria.

Ist es für ein Flugzeug nicht extrem schwierig, ein U-Boot aus der Luft zu bombardieren?

Es ist sehr, sehr schwierig. Die britischen Piloten hatten großes Glück, die Deutschen dagegen unglaubliches Pech. Stellen Sie sich die Situation vor: Das britische Flugzeug hat das deutsche U-Boot auf offener See gesichtet, das auf die belgische Küste zusteuerte. Und ging zum Angriff. Die Deutschen hatten die Gefahr natürlich bemerkt und versuchten erneut, so schnell wie möglich abzutauchen. Dann warfen die Briten ihre beiden Bomben ab – und trafen sie auch.

Welche Abmessungen hatte ein deutsches U-Boot UB II? Es war nur ein kleiner Punkt im Meer, nicht wahr?

Es war 36 Meter lang und fast 5 Meter breit. Besonders tragisch wird die Geschichte, wenn man bedenkt, dass "UB-32" fast sicher war. Die Crew war gerade erst aus der Hölle gekommen, um doch noch zu sterben.

Erkläre das bitte genauer.

Zum Schutz vor den deutschen U-Booten hatte die Royal Navy die sogenannte Dover-Schleuse gebaut. Es war im Grunde eine tödliche Barriere aus Minenfeldern und Netzen, die den Feind vom Ärmelkanal fernhalten sollte. Es wurde von den U-Boot-Besatzungen äußerst gefürchtet. Die Männer von "UB-32" überlebten diese Minenfelder. Dann vom Flugzeug versenkt werden.

Tomas Termote, geboren 1975, ist Meeresarchäologe. Der Belgier sucht und erforscht seit Jahrzehnten Schiffswracks auf dem Meeresgrund. 2017 identifizierte er beispielsweise das Wrack des deutschen U-Bootes "UB-29" vor Ostende. Termote ist Autor des Standardwerks "War Under Water. Submarine Flottille Flanders 1915-1918". Das Buch ist im Handel erhältlich.

Wo ist das Wrack genau?

Es liegt etwa 35 Meilen nordwestlich von Ostende. Das sind nur belgische Gewässer. Es liegt in einer Tiefe von etwa 40 Metern.

Und in welchem ​​Zustand war es, als Sie es im Sommer gefunden haben?

Tatsächlich wurde es in den 1980er Jahren vom flämischen Hydrographischen Dienst im engeren Sinne "gefunden". Aufgrund des regen Schiffsverkehrs wird der Meeresboden regelmäßig untersucht, um Gefahren rechtzeitig zu entdecken. Allerdings hat dem Wrack niemand viel Aufmerksamkeit geschenkt, es gibt viele davon. Vor allem ahnte niemand, dass es sich um "UB-32" handeln könnte.

Du wusstest nicht einmal, welche Entdeckung du gemacht hast.

Korrekt. Es hat mit dem Zustand des Wracks zu tun. Der gesamte Bug des U-Bootes ist zerstört, nur das Heck bis zum Turm ist intakt. Der vordere Teil sieht aus wie ein Riese, der darauf getreten ist.

Tatsächlich ist der Schaden, der zum Untergang von "UB-32" führte, außergewöhnlich.

Wenn ein U-Boot auf eine Seemine trifft, springt es quasi unter den Rumpf und detoniert. Was man am Wrack gut sehen kann. Wir haben in unseren Gewässern vier versunkene U-Boote mit solchen Schäden. Bei "UB-32" ist das anders, es ist wie der schon beschriebene Schritt eines Giganten von oben.

Tomas Termote: Der belgische Archäologe hat bereits Hunderte Wracks betaucht. (Quelle: Tomas Termote)

Wie haben Sie es überhaupt geschafft, das Wrack als "UB-32" zu identifizieren?

Zunächst nahmen wir an, es handele sich um einen anderen U-Boot-Typ. Nämlich um eine UB I. Das Wrack liegt auf der Seite, ein Teil davon ist mit Schlamm bedeckt. So sahen wir nur einen Propeller, der typisch für eine UB I ist. Bei einem Tauchgang gelang es mir und meinen Kameraden jedoch, Netze und Seile zu entfernen, die dort über Jahrzehnte steckengeblieben waren. Dann kam ein zweiter Propeller heraus. Wir waren sehr glücklich.

Und dieser Propeller verriet dann auch, um welches U-Boot UB II es sich handelte.

Genau. Es handelt sich um eine dreiflügelige Bronzeschraube mit der Aufschrift "STB Schiffsschr. 6, UB.32". Damit war auch dieses Rätsel schnell gelöst. Im Zusammenhang mit dem Bericht der britischen Piloten, die "UB-32" versenkt haben, besteht kein Zweifel mehr.

Was hat dieser Bericht gesagt?

Sie berichteten zu Hause, sie hätten zwei Bomben auf ein deutsches U-Boot abgeworfen, das gerade untergetaucht war. Dann lag es auf der Seite und sank inmitten von Öl, Trümmern und aufsteigender Luft. Die britischen Piloten waren übrigens ausgezeichnete Piloten und Navigatoren. Dann haben Sie die Position des Wracks auf dreizehn Meilen genau aufgezeichnet. Und das in einem Flugzeug in der Luft und nur mit einem Sextanten. Es würde lange dauern, das GPS zu bekommen.

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Was geschah mit "UB-32", als die britischen Bomben einschlugen?

An Bord muss die Hölle geherrscht haben. Eben noch waren die Deutschen entspannt auf dem Heimweg, dann brach Chaos über ihnen aus. Wenn die Crew Glück hatte, tötete sie die Explosion sofort. Im schlimmsten Fall müssten sie in der Tiefe auf den Tod warten. Aber nur, wenn die Detonation nicht sowieso den gesamten Innenraum mit Wasser füllte. Dann ertranken die Männer kläglich.

Sie vermuten jedoch, dass nicht nur die britischen Bomben hochgegangen sind?

Jawohl. Ich glaube, einer der Torpedos muss auch gezündet haben. Das ist meine Schlussfolgerung aufgrund des immensen Schadens am U-Boot. Der Meeresboden ist dort ein Trümmerfeld.

Aber gehen wir in der Geschichte noch etwas weiter zurück: Was war die Mission von "UB-32" vor dem Untergang?

Fangen Sie am besten am Anfang an. "UB-32" lief am 4. Dezember 1915 in der Hamburger Reiherstieg-Werft vom Stapel, danach kam sie zunächst in der Ostsee zum Einsatz.

Perfekt, weshalb es 1917 an die U-Boot-Flottille Flandern übergeben wurde. Unter dem Kommando von Max Viebeg war "UB-32" erneut sehr erfolgreich. Damals versenkte das Team 21 feindliche Schiffe, darunter die „SS Ballarat“, einen Truppentransporter mit einer Verdrängung von mehr als 11.000 Tonnen. Als die "UB-32" im Juni 1917 die britische "SS South Point" versenkte, machte die Besatzung ein Foto davon. So etwas ist sehr, sehr selten.

Max Viebeg sollte auf der letzten Fahrt nicht "UB-32" kommandieren.

Als die "UB-32" am 10. September 1917 zum letzten Mal ihren Stützpunkt Zeebrügge verließ, wurde sie von Benno von Ditfurth kommandiert. An Bord sollen 24 Mann, zwei Offiziere und 22 Seeleute gewesen sein. Ich halte von Ditfurth für einen vorsichtigen, besonnenen Offizier, der kein großes Risiko suchte. Es gibt ein Foto von ihm, wie er vor dem Turm von "UB-32" sitzt.

Trotz seiner Vorsicht sollte von Ditfurth nie mit seinen Männern zurückkehren.

Das ist leider der Fall. Ich vermute, dass er auf seiner zweiten und letzten Patrouillenfahrt mit "UB-32" in den Golf von Biskaya gefahren ist und dann auf dem Rückweg eine weite Kurve in Richtung Themsemündung gemacht hat.

Um die besagten Minenfelder zu vermeiden?

Ganz recht. Damit kam er holländischem Territorium gefährlich nahe. Wir hätten es nie vermutet, wo wir das Wrack der "UB-32" gefunden haben. Zu diesem Zeitpunkt am 22. September 1917 hatten sich wohl alle schon im sicheren Hafen gefühlt. Von Ditfurth lag wohl in seiner Koje, dann kam die tödliche Überraschung über die Deutschen.

1916: Die Besatzung der "UB-32" versammelt sich zu einem Foto auf dem Deckgeschütz. (Quelle: Heiko Hermans)

Sprechen wir über die Bedeutung der deutschen U-Boote im Ersten Weltkrieg. Winston Churchill, der spätere große Kriegsministerpräsident im Kampf gegen Adolf Hitler, gab einst zu, dass ihm der U-Boot-Krieg schlaflose Nächte bereitet habe.

Und das zu Recht. Wir müssen immer bedenken, dass Großbritannien ein Inselreich ist und während des Ersten Weltkriegs dringend auf Nachschub aus den Kolonien und vor allem aus den USA angewiesen war. Was auch der deutschen Marine sehr bewusst war. Bei Kriegsbeginn 1914 waren nur 28 deutsche U-Boote einsatzbereit, im Mai 1918 waren es bereits 330. Weitere 600 befanden sich im Bau. Mit den U-Booten hätten die Deutschen England in die Knie zwingen können. Theoretisch zumindest.

Wenn nicht der hemmungslose deutsche U-Boot-Krieg 1917 zur amerikanischen Kriegserklärung geführt hätte.

Genau. Damit war die Niederlage der Deutschen besiegelt.

Aber wie genau muss man sich die Kriegsführung mit U-Booten im Ersten Weltkrieg vorstellen?

Typ UB II ist ein gutes Beispiel. Dabei handelte es sich um U-Boote für den Einsatz in Küstennähe, jedoch mit einer größeren Reichweite als die Vorgängertypen: rund 1.600 Seemeilen bei Fahrten über Wasser. Und genau darin liegt ein weit verbreiteter Irrglaube: Die U-Boote waren einen Großteil der Betriebszeit über Wasser. Sie tauchten meist nur, wenn Gefahr drohte. Das lag unter anderem an den Elektromotoren für das Fahren unter Wasser, die nach einiger Zeit wieder aufgeladen werden mussten.

Dementsprechend versenkten sie die meisten feindlichen Schiffe nicht mit Torpedos, wie aus dem Kino bekannt.

Torpedos waren absolut Mangelware, der Kommandant muss damit sehr geizig sein. "UB-32" hatte nur vier davon an Bord. Feindliche Schiffe wurden stattdessen mit dem Deckgeschütz versenkt. Oder mit Hilfe von Sprengladungen, die nach dem Betreten des feindlichen Schiffes platziert wurden.

Benno von Ditfurth: Der Oberleutnant zur See kommandierte "UB-32" auf der letzten Fahrt. (Quelle: Tomas Termote)

Wie lange waren die U-Boote auf See?

Es war ganz anders. Sie hätten wochenlang ausgehen können, tatsächlich waren die Einsätze oft kürzer. In der Regel zehn bis 14 Tage. Denn einerseits war das Catering manchmal schwierig, andererseits war die Nervenbelastung enorm. Es gab U-Boot-Kommandanten, die nach einer Mission zur Kur geschickt werden mussten. Sie hatten eine enorme Verantwortung, das U-Boot und vor allem ihre Männer sicher nach Hause zu bringen.

Was waren das für Männer, die an Bord der U-Boote dienten?

Sie sahen sich als absolute Eliteeinheit, und in den ersten beiden Kriegsjahren wurden nur Freiwillige aufgenommen. Aber ich fand Beweise dafür, dass später Soldaten direkt aus den Schützengräben auf ein U-Boot kommandiert wurden. Es lag wohl an den vielen Verlusten und der Erweiterung der Flotte.

Und diese Männer lebten damals unter schrecklichen Bedingungen auf See.

Das Leben dieser Männer muss schrecklich gewesen sein. Sie waren in einem potentiellen Stahlsarg eingeschlossen. Es gab weder Luxus noch Privatsphäre. Der Maschinist starrte den ganzen Tag auf die Motoren und hörte nichts von der Außenwelt. Kein Tageslicht, nur das Geräusch der Dieselmotoren. Außerdem stank es nach Öl und menschlichen Gerüchen. Nicht zu vergessen die allgemeine Todesgefahr durch feindliche Angriffe.

Aber kommen wir zurück in die Gegenwart: Wie fühlt es sich an, ein solches Wrack zu entdecken?

Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Natürlich macht es mir einen Kick, so ein Wrack zu entdecken: ein U-Boot, das seit über 100 Jahren verschollen ist. Andererseits macht es mich bei "UB-32" auch traurig. Ich sah die Luken geschlossen und wusste: Niemand kam lebend heraus. Hoffentlich musste wenigstens keiner lange leiden. Denn das ist eine Wahrheit: Es gibt keine Gewinner im Krieg.

"UB-32": So sieht das Wrack in der Sonaransicht aus. (Quelle: Tomas Termote)

Sehen Sie Ihre Arbeit auch als eine Art Versöhnung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern?

Jawohl. Als ich dreizehn war, tauchte ich zum ersten Mal mit meinem Vater zu einem Wrack. Es war ein deutsches Torpedoboot aus dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt mittlerweile mehr als 600 Wracks, die ich auf dem Meeresboden besucht habe. Dazu gehören Fischkutter, Segelschiffe und Frachter. Aber ein Wrack wie "UB-32" zu identifizieren, ist etwas Besonderes. Denn jetzt wissen die Angehörigen der Toten, was aus den Männern geworden ist.

Die Überreste der Besatzung sind noch an Bord.

Dies kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Deshalb müssen wir das Wrack mit Respekt behandeln. Denn es ist im Grunde ein Grab. Aus diesem Grund werden wir auch nicht hineingehen. Von der Gefahr ganz zu schweigen.

Werden Sie in Zukunft weitere spektakuläre Funde auf dem Meeresboden machen?

Das hoffe ich wirklich. Es gibt noch so viel zu entdecken.

Herr Termote, vielen Dank, dass Sie mit uns gesprochen haben.

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