Die Pioniere auf dem Velociped - Bayern - Nachrichten - Mittelbayerische

2021-11-04 09:16:32 By : Ms. Dela Chen

In Neumarkt entstand die erste Fahrradfabrik auf dem europäischen Festland. Die Express-Werke der Gebrüder Goldschmidt bestanden bis 1959. Von Fritz Winter, MZ

NEUMARKT. Zu einem besonderen Ausstellungsstück zieht es Petra Henseler immer wieder hin. Es hat die Herstellungsnummer 357823 und ist um 1925 gebaut worden. Das Lieblingsfahrrad der Kunsthistorikerin und Leiterin des Neumarkter Stadtmuseums hat sogar einen Namen: „Aberger“ heißt die Rennmaschine mit Holzfelgen, einer Zwei-Gang-Schaltung und Spezial-Flügelmuttern für einen schnellen Radwechsel. Der Berliner Erich Aberger gehörte vor und nach dem ersten Weltkrieg zu den erfolgreichsten deutschen Straßenrennradfahrern. Seine größten Erfolge feiert er mit Produkten der Neumarkter Fahrradfabrik Gebr. Goldschmidt, der ab 1918 in den Express-Werken umbenannt wurde. Das Modell „Aberger“ ist in der Firmengeschichte das einzige Fahrrad, das den Namen eines angesehenen Rennfahrers trägt. „Und es ist wunderschön“, sagt Henseler.

Sie haben noch keinen Zugang zum Archiv? Registrieren Sie sich jetzt kostenlos, um weiterzulesen.

Bitte überprüfen Sie die rot markierten Pflichtfelder.

Sobald Sie sich eingeloggt haben, können SIE Inhalte aus unserem digitalen Archiv lesen. Die Mittelbayerische bietet einige Millionen Artikel in ihrem Webangebot. Angemeldete Nutzer können Geschichten bis ins Jahr 2008 recherchieren. Unser Nachrichtenportal dokumentiert damit die Zeitgeschichte Ostbayern. Mehr erfahren.

# Im Neumarkter Stadtmuseum und im nahen Museum für historische Maybach-Fahrzeuge, das in den ehemaligen Werkgebäuden untergebracht ist, WIRD DIE Geschichte der aktuellen Fahrradfabrik auf dem europäischen Festland wieder lebendig. Die Geschichte der Express-Werke beginnt im Jahre 1863. Damals erwarb Joseph Goldschmidt das Neumarkter Bürgerrecht und die Konzession zur Führung einer Eisenwarenhandlung. Joseph und sein Bruder Adolf stellt ab 1875 auch Kochherde her und das junge Unternehmen genutzte vom Anschluss Neumarks an die Eisenbahn im Jahre 1871.

# Der Zufall wollte es, dass 1877 der 14-jährige Carl Marschütz bei Goldschmidt in die Lehre ging, sich aber weniger für Kochherde, sondern für die neueste Methode des „Velociped-Reitens“ interessierte. Mit Hilfe seiner Chefs und dem Nürnberger Mechaniker Eduard Pirzer gelang es, in der neugegründeten „Velocipedfabrik Goldschmidt und Pirzer“ Hochräder nach englischem Vorbild herzustellen. Die Firma florierte von Anfang an. Bereits 1887 hatte man 2000 Fahrzeuge hergestellt, die Belegschaft war von sechs auf 120 Arbeiter angewachsen. 1889, Eduard Pirzer war inzwischen ausgeschieden, lag der Jahresumsatz bei 350000 Mark.

# „Die Firma gelegt von Anfang an Wert auf allerhöchste Qualität und lag damit im hochpreisigen Segment“, sagt Museumsleiterin Petra Henseler. 1897 is man den veralteten Begriff auf: Aus der Velocipedfabrik werden die Express-Fahrradwerke AG. Das Fahrrad war um die Wende zum 20. Jahrhundert zu einem Massenverkehrsmittel geworden und nicht nur in Neumarkt entstanden Fahrradfahrervereine. Auch Radrennen boomten und die Hersteller aller bekannten Marken buhlten um den Sieg – war das doch die größte Werbung für die eigenen Erzeugnisse.

# 1900 stiegen die Express-Werke auch in den Bau motorisierter Fahrzeuge ein. Es wurden Autos mit Benzin- und Elektromotor hergestellt und starke Motoren, unter anderem für Boote produziert. Auch mit der Herstellung von Rennwagen wurde experimentiert. Doch schon 1907 wurde der motorisierte Weg wieder verlassen. Autos aus dieser Zeit sind in den Museen nicht zu finden – offensichtlich Haben sich keine Exemplare erhalten. Die von jüdischen Geschäftsleuten gegründete Firma wurde im Drittten Reich „arisiert“ und es wurde sogar ein „braunes Rad“ mit dem bezeichnenden Namen „SA“ hergestellt. Zu Kriegsende wurden statt Fahrräder Granaten hergestellt. 1945 versanken die Fabrikanlagen im Bombenhagel.

# Im Stadtmuseum Neumarkt WIRD sterben Frühgeschichte der Firma mit Originalfahrzeugen, historischen Bildern und Prospekten sorgsam nachgezeichnet. 1947 lief die Produktion von Fahrrädern in geringer Stückzahl wieder an. Zwei Jahre später kamen Leichtkrafträder und Mopeds dazu. Unter dem Namen „Radex“ kamen entsprechend den Kundenwünschen auch schwerere Maschinen bis zu 250 Kubikzentimetern Hubraum auf den Markt.

# 1952 kam das Moped „Radexi“ auf den Markt, das sich verkaufte wie die sprichwörtlich warmen Semmeln. Und sterben Express-Werke scheuten weder Kosten noch Mühen, einen eigenen Motor zu entwickeln, um vom Zulieferer Fichtel und Sachs unabhängig zu werden. 1955 erreichten die Produktionszahlen den höchsten Stand in der Firmengeschichte. Fahrzeuge aus Neumarkt wurden bis nach Indonesien und Südafrika vertrieben. Rund 500 Männer und Frauen waren bei Express beschäftigt. Täglich entstanden 25 Motorräder und etwa 150 Fahrräder.

# Im Zuge der Automobilisierung kam die große Zweiradkrise, der viele Hersteller in Deutschland zum Opferfeld. 1958 werden die Express-Werke durch die Zweirad-Union in Nürnberg übernommen. Am 30. September 1959 wird der Verkauf von Fahrrädern in Neumarkt endgültig eingestellt. Ein Stammtisch ehemaliger Express-Beschäftigter, eine Interessengemeinschaft Express und die Ausstellungen im Stadtmuseum und im Museum für historische Maybach-Fahrzeuge halten die Erinnerung lebendig.

Weitere Artikel aus diesem Ressort finden Sie unter Bayern.