„Was zum Henker?“: Alltagssprache mit Geschichte der Folter behaftet | Tiroler Tageszeitung Online – Nachrichten von jetzt!

2022-05-27 19:05:23 By : Ms. kerry wei

Von „Daumenschrauben“ bis „Buschenschank“: Eine Grazer Germanistin hat untersucht, wie sich alte Rechtspraktiken in der Alltagssprache niederschlugen.

Graz – Wenn es "um Kopf und Kragen" geht, die "Daumenschrauben angezogen" werden oder jemand "gepiesackt" wird, verwenden wir Redewendungen, die auf Folter-, Straf- und Hinrichtungsmethoden zurückgehen. An der Uni Graz hat die Germanistin Gerlinde Gangl die verbale Darstellung alter Rechtspraktiken untersucht und festgestellt, dass sich heute noch viele Beispiele aus dem Hinrichtungsbereich in der deutschen Sprache finden lassen, teilte die Universität Graz am Mittwoch mit.

In ihrer Masterarbeit "Was zum Henker ...?" hat Gangl mehr als 300 Belege für metaphorische Sprachverwendung aus dem Rechtsbereich analytisch aufgearbeitet und mit einer Fülle an rechtskundlichem Quellenmaterial angereichert. Die Auswertung ergab, dass die Mehrheit an besonders häufig verwendeten bildhaften Redewendungen von der "Hinrichtung", präziser den Exekutionsvarianten Enthauptung und Erhängen, geprägt ist. Die Eindrücke öffentlich durchgeführter Exekutionen haben sich im alltäglichen Sprachgebrauch somit über Jahrhunderte erhalten.

"Die meisten Belege nehmen Bezug auf Hinrichtungsarten", betonte die Germanistin. So macht heute ein Chef seinen Mitarbeiter "einen Kopf kürzer", wenn dieser etwas gravierend vermasselt hat. In früheren Zeiten wurden solchen Personen oft auch diverse Utensilien wie Steine, Hölzer, Tafeln oder Stofffetzen "angehängt", um sie dadurch öffentlich zu demütigen. Die Metapher "Tretmühle" im Sinne einer unaufhörlichen öden Arbeit lässt sich laut den Erkenntnissen von Gangl auf eine besonders anstrengende Art der Arbeitsstrafe des Mittelalters und der Neuzeit zurückführen, wo die verurteilte Person über ein Tretrad in unterschiedlichen Ausformungen als Steig- oder Laufrad die Mühle in Bewegung setzen musste.

Manch einer hält seinen Arbeitsalltag für eine "Schinderei". Was wir heute als extreme Arbeitsbeanspruchung verstehen, wurde ursprünglich einerseits als die Tätigkeit des Schinders, das Häuten von Tieren, sowie im strafrechtlichen Sinne von Menschen verstanden. Letzteres findet sich übrigens auch noch in der Redewendung "die Haut abziehen" wieder. Gut aus dem Bereich der Folter lässt sich die Herkunft von Redewendungen wie "die Daumenschrauben anziehen" herleiten. Dabei wurde im Mittelalter ein eisernes Schraubzeug beim Foltern an das mittlere Gelenk des Daumens gelegt. In der heutigen Zeit werden damit schlicht unüberwindbare Hindernisse und Einschränkungen in bildhafter Weise umschrieben, hielt Gangl fest.

Bei anderen Ausdrücken braucht es mehr Nachhilfe aus der Wissenschaft: "So kommt etwa Piesacken vom niederdeutschen Wort Pesek aus dem 18. Jahrhundert. Es bezeichnete einen Schlagstock, den sogenannten Ochsenziemer", erklärt Gangl. Ist heute jemand ein Piesacker, dann ist das jemand, der einen anderen heftig und fortlaufend quält, ärgert und belästigt.

Weniger drastisch sind die bildlichen Wendungen aus dem Bereich der Rechtssymbolik, der Gruppe, die in den gesammelten Belegen am zweithäufigsten vertreten ist. Hier lässt sich die Verbindung nicht immer gleich erkennen, wie zum Beispiel bei "in die Fußstapfen treten": So ließ man im Rahmen der altgermanischen "Blutsbrüderschaft" zur Besiegelung das Blut in einer Fußspur zusammenfließen oder tröpfelte es in eine solche hinein. Laut altnordischen Rechtsbräuchen stiegen die beiden Parteien in dieselbe Fußspur. Im historisch-rechtlichen Kontext spielte das Treten in jemandes Fußspur auf die Erbfolge bzw. den käuflichen Erwerb an.

Ebenso vom Rechtsgebrauch leitet sich übrigens auch die in der Steiermark gut bekannte "Buschenschank" ab: "Im Mittelalter wurde ein Buschen oder Strohkranz ausgesteckt oder -gehängt, um anzuzeigen, dass man für einen bestimmten Zeitraum das Schankrecht hatte", weiß Gangl. Noch heute wird durch einen aufgehängten Buschen aus Zweigen eine Wirtschaft gekennzeichnet, die selbst produzierten (heurigen) Wein ausschenkt und meistens kalte Imbisse anbietet.

Viele der Sprachbilder, die wir verwenden, haben ihren Ursprung in Praktiken des Mittelalters. Manche aber lassen sich viel weiter zurückverfolgen. So war das Auge im alten Ägypten als Symbol dem Gott Osiris als gerechtem Richter zugewiesen, wurde in der Antike zum "Auge der Gerechtigkeit" und schließlich zum "Auge des Gesetzes", halb scherzhaft für die Polizei.

Die Arbeit von Gerlinde Gangl ist der abschließende Beitrag zum Langzeitprojekt "Deutsche WortSchätze", das von Wernfried Hofmeister im Jahr 2000 am Institut für Germanistik der Universität Graz initiiert wurde. Darin wurden über mehr als 20 Jahre lang bildhafte Ausdrücke aus den Bereichen der Wehrkultur, des Sports, der Religion, der Musik, der Ernährung, der Mathematik, des Spiels, des Theaters, der Schrift, der Magie und des Rechts gesammelt und erklärt. Die Ergebnisse kommen auch multimedial aufbereitet im Schulunterricht zum Einsatz. (APA)